Stellen Sie sich eine Lerneinheit zum Thema „Genres der bildenden Kunst“ in zwei verschiedenen Varianten vor: Die Lernenden erhalten vom Lehrenden ein Arbeitsblatt, auf welchem die verschiedenen Genres anhand von fest vorgegebenen Merkmalen beschrieben werden. Lernziel ist es, die Merkmale auswendig zu lernen und in einer Kontrolle aufzusagen zu können. In einer zweiten Variante werden den Lernenden verschiedene Werke der unterschiedlichen Genres in einer Kunstgalerie präsentiert. Von Lernerfolg kann gesprochen werden, wenn die Lernenden die Genres benennen und erkennen können sowie wesentliche Unterscheidungsmerkmale aufzählen. Was meinen Sie? Welche Variante ist erfolgsversprechender?

Um diese Frage zu klären, müssen wir einen Blick in die Psychologie des Lehrens werfen und uns mit der Steuerung von Lernprozessen beschäftigen. Lernprozesse werden entweder von außen oder von innen gesteuert. Von außen bedeutet, dass der Lehrende den aktiven Part übernimmt und die Lernziele definiert. Der Lehrende trifft die Entscheidungen und kontrollierkunstt den Lernerfolg. Die Außensteuerung basiert auf behavioristischen Lerntheorien durch die Darbietung von Reiz-Reaktion-Verbindungen. Lernen passiert demnach durch Auswendiglernen und mechanischem Üben. Ein prominentes Beispiel ist die programmierte Unterweisung nach Skinner. Das Erreichen der Lernziele kann durch beobachtbares Verhalten beschrieben werden.

Lernumgebungen, die wiederum die Innensteuerung von Lernprozessen fokussieren, basieren auf konstruktivistischen Lerntheorien. Das Lernziel kann mit Problemlöseverständnis, Selbstlernkompetenzen und heuristischen Kompetenzen beschrieben werden. Im Mittelpunkt steht nicht das Lernergebnis sondern der Lernprozess. Der Lernende wird nach diesem Prinzip selbst aktiv. Das Lernmaterial ist in einen Anwendungskontext eingebunden und besitzt einen hohen Komplexitätsgrad. Übrigens: Der Beitrag zum Selbstgesteuerten Lernen beschäftigt sich ebenfalls mit diesem Thema. Das Selbstgesteuerte Lernen lässt sich zur Innensteuerung zählen.

Kommen wir zurück zu unserem Beispiel „Genres der bildenden Kunst“. In der ersten Variante, der Variante mit Arbeitsblatt und Außensteuerung, bleibt der Lernende passiv. Für den Lernerfolg ist ausschließlich der Lehrende verantwortlich (wie ist das Arbeitsblatt aufgebaut etc.). Das Lernen findet hier losgelöst von Kontexten statt und basiert auf einzelnen vom Lehrenden ausgewählten Fakten (Vgl. Edelmann & Wittmann, 2012, S. 209-214).

In der zweiten Variante, dem Galeriebesuch mit dem innengesteuerten Lernprozess, ist der Lernerfolg offen. Es leuchtet ein, dass ein derartiges Vorgehen sehr viel Zeit benötigt. Weiterhin erscheint dieses Prinzip nicht für alle Lernenden von Vorteil zu sein. Insbesondere Lernenden mit Vorwissen zu Genres der bildenden Kunst, wird es leichter fallen, Unterscheidungsmerkmale der verschiedenen Werke herauszuarbeiten, während es für Novizen ohne Vorwissen eine Überforderung bedeutet, sich alle Genres, Künstler etc. selbst zu erarbeiten.

Was bedeutet das für die Konzeption eines Lernangebotes? Die Wahrheit liegt wie so oft in der Mitte. Ich habe mit der Außen- und Innensteuerung zwei Extrempositionen vorgestellt, die in der Praxis in ihrer Reinform kaum Anwendung finden dürften. Wir müssen demnach überlegen, welche Art von Steuerung bei welcher Zielgruppe und Zielstellung die geeignete ist. Vielleicht haben Sie ja Freude daran, zu überlegen, wie ein konkretes Lernszenario für eine gewählte Zielgruppe für „Genres der bildenden Kunst“ aussehen könnte?