Warum die Entscheidung für das Medium in Lernangeboten erst ganz am Ende getroffen werden sollte?
Der Einsatz von Tablets oder digitalen Medien in der Schule ist ein Thema, über welches aktuell sehr viel geschrieben wird. Nach anfänglicher Euphorie folgen nun kritische Stimmen zum tatsächlichen Mehrwert für das Lernen. Oft wird aus den Augen verloren, dass bei der Planung von Lernangeboten die Frage nach dem Einsatz von digitalen Medien erst ganz am Ende der Entscheidungskette beantwortet werden sollte.
Warum das so ist, werde ich am Beispiel Kochen erläutern, um zu zeigen, dass sich dieses Szenario auf ganz verschiedene Situationen übertragen lässt. Vorweg: Als Grundlage nutze ich eine Schrittfolge zur Entwicklung digitaler Lernangebote auf Basis von Hambach & Urban, die ich für sehr geeignet halte.
Starten wir das Gedankenexperiment und gegeben uns in die Küche: Stellen Sie sich vor, Sie möchten etwas kochen. Nicht nur für sich selbst, sondern für einen lieben Menschen, den sie zu sich eingeladen haben. Das ist die Ausgangssituation.
1. Schritt: Bildungsbedarf konkretisieren
Ganz zu Beginn steht die Frage, warum Sie dieses Essen planen? Was ist der Bedarf für Ihre bevorstehende Kochaktion? Am Beispiel Essen ist diese Frage recht schnell beantwortet: Es geht um das Grundbedürfnis Hunger stillen.
Übertragen auf den Bildungsbereich würden wir vom so genannten Bildungsbedarf sprechen, der in jedem Bildungs- oder Lernangebot ganz am Anfang stehen sollte.
2. Schritt: Zielgruppe analysieren
Gut, der Bedarf, von dem wir in unserem Beispiel ausgehen, ist also Hunger stillen. Die Zielgruppe für unser Vorhaben ist bereits gegeben: Der liebe Mensch, den wir eingeladen haben. Diesem soll ja unser Gericht schmecken, deshalb müssen wir so viel wie möglich von ihm erfahren: Neben Geschmacksvorlieben, Lebensmittelunverträglichkeiten oder Allergien spielen Faktoren wir Alter, Geschlecht, Erwartungen, Erfahrungen, zeitliches Budget, Verpflichtungen, gesundheitliche Einschränkungen und weitere individuelle Merkmale eine Rolle. Puh, das sind eine Menge? Ja, der genaue Blick lohnt sich und bildet die Basis für ein gelungenes Rezept.
Das Gleiche gilt für die Planung von Lernangeboten. Hier sind insbesondere im Schritt “Zielgruppe analysieren” Merkmale wie Motivation, technische Möglichkeiten oder Vorwissen von Bedeutung.
3. Schritt: Kontext analysieren
Sie wissen nun konkreter, für wen Sie kochen werden. Als nächstes geht es um den Kontext. Der Kontext ist in unserem Beispiel die Küche, Ihr Arbeitsraum. Dazu gehören alle Geschirrteile, Utensilien und Geräte, die sich darin befinden. Diese stehen Ihnen für Ihr Vorhaben zur Verfügung. Es leuchtet sicherlich ein, dass Sie keinen Pürierstab nutzen können, wenn Sie Ihr Dinner auf einer einsamen Berghütte ohne Strom vorbereiten. Zum Kontext zählen jedoch auch weitere organisatorische Rahmenbedingungen wie Zeit, die zur Verfügung steht, beteiligte Personen, wirtschaftliche, soziale oder rechtliche Bedingungen.
All diese Faktoren spielen auch bei der Planung von Lernangeboten für den Schritt “Kontext analysieren” eine Rolle.
4. Schritt: Ziele festlegen
Bisher haben wir vor allem Daten zu unserer Situation erfasst: Wir haben den Bedarf, die Zielgruppe sowie den Kontext analysiert. Nun werden wir ein bisschen konkreter. Welches Ziel verfolgen Sie mit Ihrem Essen? Wenn Sie einen lieben Menschen eingeladen haben, wird es nicht nur darum gehen, dass dieser am Ende satt nach Hause geht. Sie werden Ihren Gast wahrscheinlich auch überraschen wollen. Sie wollen ihm zeigen, dass Sie sich beim Kochen Gedanken gemacht und Mühe gegeben haben.
Bei der Planung von Lernangeboten wird die Definition der Lern- und Lehrziele wahrscheinlich etwas umfangreicher sein. Nehmen Sie sich dafür unbedingt die notwendige Zeit, die passenden Ziele zu definieren. Sie bilden eine wichtige Basis für alle weiteren Schritte.
5. Schritt: Didaktischen Ansatz entwickeln
Sie näheren sich nun möglichen Rezepten und müssen Entscheidungen treffen. Die Grundlage hierfür bilden alle vorhergehenden Überlegungen. Sie beantworten nun Fragen wie: Wie viele Gänge biete ich an? Gibt es warme und/ oder kalte Speisen? Gibt es ein Buffet? Folgt mein Gericht einem bestimmten Thema oder Motto? Handelt es sich um ein landestypisches Gericht? …
Der didaktische Ansatz im Bildungsbereich beschreibt Aspekte wie Lerntheoretische Grundlage, Lehr-/Lernformen, Lehr- /Lerninhalte sowie verwendete Materialien.
6. Schritt: Inhalte festlegen
Nun geht es endlich ums Kochen! Sie wählen ein Rezept, was genau auf Zielgruppe und Zielstellung passt. Organisieren die Zutaten, stellen alle Hilfsmittel bereit, holen das benötigte Geschirr aus dem Schrank und los geht’s. Sie kochen und wenn alles verläuft wie geplant, das Rezept aufgeht und sie die richtigen Entscheidungen getroffen haben, werden Sie den lieben Gast begeistern. Perfekt!
Fazit Medienentscheidung
Nun möchte ich Ihnen kurz skizzieren, was passiert, wenn Sie die Wahl des Mediums in der Schrittfolge bereits ganz zu Beginn vornehmen. Bemerkung: Das wäre zum Beispiel die Entscheidung, dass Sie Tablets im Unterricht einsetzen wollen.
Sie kennen den Ausgangspunkt unseres Gedankenexperiments: Sie möchten für einen lieben Menschen kochen. Als allererstes würden Sie sich nun für ein Medium entscheiden. Das könnte in unserem Beispiel ein bestimmter Teller sein. Das heißt, sie wählen einen flachen Teller und suchen dann nach einem Gericht, was sich auf diesem Teller anrichten lässt. Das kann gutgehen, es kann jedoch auch im Falle von sehr flüssigen Speisen schieflaufen.
Vielleicht kann dieser spezielle Teller als Mitbringsel einer Reise, als Erbstück oder aufgrund seines Designs das Gefühl vermitteln, dass das Gericht darauf auch besser schmeckt als auf einem anderen Teller. Ja, vielleicht. Aber ein Gericht, was unserem Gast nicht schmeckt, wird es wohl nicht aufwerten können.
Es erscheint zudem unlogisch, und hier folgt der eigentliche Knackpunkt der Diskussion, zu behaupten allein das Vorhandensein des Tellers macht ganz neue Rezeptkreationen möglich. Wenn Sie die Diskussionen zum Einsatz von Tablets verfolgt haben, dann hören und lesen Sie genau das immer wieder – ganz neue Methoden seien damit möglich. Das ist nicht ganz richtig. Tablets haben als Unterstützung im Unterricht ihre Berechtigung ohne Frage, sie ermöglichen insbesondere die Umsetzung vieler kooperativer Methoden, die im klassischen Schulunterricht nicht so einfach möglich wären – wie auch ein tiefer oder flacher Teller für jeweils ihren Zweck.
So ist es mit dem Tablet wie auch dem Teller. Es ist und bleibt ein Medium.
Zum Thema Lernangebote planen (insb. E-Learning): Hambach, S., & Urban, B. (Eds.). (2006). E-Learning-Angebote systematisch entwickeln. Ein Leitfaden. Stuttgart: Fraunhofer IRB-Verlag.